Fotowanderweg in Lettgenbrunn bietet informative wie interessante Einblicke – Ortshistorie auf äußerst anschauliche Art – Einzigartige Luftaufnahmen – Kuriose Geschichten – Geführte Gruppenwanderungen
Kultur und Bewegung, nach diesem Motto haben die Lettgenbrunner ihren neuen Fotowanderweg gestaltet. Damit haben sie einen ganz hervorragenden wie sehenswerten Beitrag zu ihrem diesjährigen Ortsjubiläum „700 Jahre Lettgenbrunn“ geleistet. In Lettgenbrunn laufen die Jubiläumsfeierlichkeiten etwas anders als gemeinhin vielleicht üblich. Nicht mit einem großen Festwochenende, sondern mit vielfältigen, attraktiven Aktionen und Veranstaltungen beleuchten die Lettgenbrunner ihre Geschichte.
Einen sehr wechselvolle Geschichte, an die Bürgermeister Rainer Schreiber während der offiziellen Eröffnung des Weges erinnerte. Ein Ort, der dreimal zerstört und wieder aufgebaut wurde, zuerst im Dreißigjährigen Krieg, im Kaiserreich bzw. während des I. Weltkrieges diente Lettgenbrunn als Truppenübungsplatz, im II. Weltkrieg war der Ort Bombenabwurfsgebiet für die Luftwaffe. Flüchtlinge und Siedler aus Elsass-Lothringen, aus dem Sudetenland, aus Schlesien und Ostpreußen fanden hier vorübergehend oder endgültig eine zweite Heimat.
Diese Geschichte auf eindrucksvolle Art und Weise erlebbar zu machen, ist Ziel des neuen historischen Fotowanderweges, der durch den Ort und zu markanten Aussichtspunkten führt. Zahlreiche Fototafeln sind entlang der 3,6 km langen Strecke angebracht. Wo einst der jeweilige Fotograf stand, steht nun der heutige Betrachter und wird auf faszinierende Art mit der Vergangenheit konfrontiert. Ein großes Banner in der Ortsmitte wirbt und lädt ein auf einen außergewöhnlichen Rundgang durch die Geschichte. Die Fototafeln sind auf stabilen Holzposten befestigt und mit Wetterschutzfolien versehen. Insgesamt 53 Fototafeln, mit fünf bislang unveröffentlichten militärischen Luftaufnahmen, elf unveröffentlichten Privataufnahmen, historischen Karten aus dem 16. Jahrhundert, einem Katasterplan von 1866, vielen Fotos aus dem „alten“ Lettgenbrunn vor 1936 und Hintergrundinformation gespickt mit unterhaltsamen Anekdoten säumen den Weg. Zum jeweiligen Foto gibt es kurze prägnante Erklärungen, eine Karte mit Standort und Blickrichtung sowie eine Einordnung in die jeweilige Epoche. Um die Tafeln chronologisch zuordnen zu können, wurden fünf Epochen (1313 bis zum I. Weltkrieg, I. Weltkrieg 1914 bis 1918, Zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg, II. Weltkrieg 1939 bis 1945 und Heutiger Ort sei 1945) angelegt.
Ein Großteil der Fototafeln beschäftigt sich mit der Zeit des I. Weltkrieges sowie den verheerenden Auswirkungen des II. Weltkrieges. Einzigartige Luftaufnahmen von 1917 geben Zeugnis davon, das sich am Südmährer Weg Soldatenunterkünfte befanden. „Solche Aufnahmen sind eine Rarität und wir sind ungemein froh darüber, dass sie uns das Hessische Landesamt für Bodenmanagement und Geoinformation zur Verfügung stellte“, kommentiert Holger Heinemann, einer der engagierten Mitgestalter des Fotoweges. Auf einer Fototafel auch noch gut zu erkennen, sind die Schienen der Schmalspurbahn, die von Bad Orb über die Wegscheide nach Lettgenbrunn fuhr. Sie brachte Verpflegung, Baumaterial und Munition für die mehreren tausend Soldaten. Doch als wäre ein Zugtrasse nicht schon bemerkenswert genug. Auf einer alten Postkarte ist vermerkt: Es gab tatsächlich ein Kino für die Soldaten. Kurios ist ebenso die Tatsache, dass eine im Fliegerhorst Rothenbergen stationierte Flugausbilderin zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges ihre Flüge wohl auch über Lettgenbrunn absolviert haben dürfte. Es handelte sich dabei um Beate Uhse, die bekanntlich nach dem Krieg in eine andere Branche wechselte.
Im Zweiten Weltkrieg war Lettgenbrunn zum Bombenabwurfsgebiet ernannt und die Einwohner mussten abermals ihre Heimat verlassen. Eine Luftaufnahme aus dem Jahre 1945 zeigt den heutigen „Bombenhügel“ als riesige Mondlandschaft. Mit Zement gefüllte Bomben wurden auf Zielmarkierungen im Feld und auf die Gebäude abgeworfen. Kein Haus, kein Zaun, nicht einmal ein Mäuerchen blieb nach der Zerbombung stehen.
Unter der Leitung von Landrat Heinrich Kress beschloss der Kreis Gelnhausen den Ort wieder auf zubauen. So wurde nach 1945 die dritte Neubesiedling mit Heimatvertriebenen aus dem Sudetenland, aus Schlesien und Ostpreußen geplant. Zunächst waren es aber die Amerikaner, die den Menschen unter die Arme griffen und den ersten sechs Siedlerfamilien jeweils eine Kuh schenkten. Die „Ami-Kuh“ galt zeitlebens als etwas Besonderes. Untergebracht waren die Siedler anfangs in Wellblechbaracken (wie einige Fototafeln zeigen), in denen vier Familien auf engstem Raum lebten. Auch das zerbombte, versteppte Land sollte wieder urbar gemacht werden. Die wenigen geschwächten Pferde schafften jedoch den Pflug nicht. Ein Vogelsberger Landwirt mit Motorpflug sollte helfen, doch war ihm die Gefahr von möglichen Blindgängern zu groß. Da setzte sich Landrat Heinrich Kress kurzerhand selbst eine Stunde lang mit auf den Schlepper und die Arbeit begann. Zur Grundsteinlegung der ersten fünf Waldarbeiterhäuser in 1947 war Kress erneut zugegen. Die heute noch bestehenden Häuser an der Hauptstraße sind inzwischen sogar denkmalgeschützt. Natürlich nehmen die Fototafeln auch die beiden Gaststätten in den Blick, die mit ihrem Namen von der Herkunft der damaligen Siedler zeugen (Znaimer Hof und Sudetenhof).
Interessantes erfährt der Besucher auch zu den beiden Kirchen in Lettgenbrunn. Die alte gotische Kirche von 1713 fiel dem Krieg zum Opfer. Die nach 1945 siedelten Katholiken und Protestanten waren sich einig: Es sollte künftig eine Kirche mit zwei Räumen geben. So ist die 1952 entstandene Kirche in der einen Hälfte, dem Heiligen Jakobus geweiht, die evangelische seinem Bruder Johannes. Damit existieren zwei Konfessionen unter einem Dach, eine absolute Ausnahme und ein gutes Beispiel für gelebte Ökumene. Zahlreiche Tafeln beschäftigen sich mit dem alltäglichen Leben nach den Kriegsjahren. Ob Getreideschober oder Kartoffelernte, Fronleichmanprozession oder das Stellen des Maibaumes, der Fotowanderweg gibt einen informativen wie anschaulichen Einblick in das Leben jener Epoche.
An einige Traditionen und Feste möchten die Lettgenbrunner anlässlich ihres Jubiläums durch ihre Veranstaltungen erinnern. Einige Veranstaltungen haben bereits stattgefunden, viele stehen im Laufe des Jahres noch an. „Allesamt sind sie super vorbereitet, organisiert und bislang vorbildlich durchgeführt“, lobte Herbert Bien, der Festpräsident die Verantwortlichen des Organisationsteams. Als Start- und Zielpunkt für die Wanderung entlang des Fotowanderweges wird der Parkplatz an der Kirche empfohlen. Die Strecke, die über 2,8 km geteerte Straße und 0,6 km Wiesenweg und 0,2 km Wiese führt, ist jedoch so vorbildlich und professionell ausgeschildert, dass der Besucher an jeder Fototafel ohne Schwierigkeiten einsteigen kann. Auf Anfragen können auch geführte Wanderungen gebucht (Anfragen über fotowanderungen [at] 700jahre.de) werden, dabei werden nicht nur die Fotos erklärt, auch so manche Anekdote und interessante Zusammenhänge sind zu erfahren. Für Schulklassen aller Altersstufen, Vereinsausflüge, Wander- und Kulturvereine ist ein solcher Rundgang absolut empfehlenswert.
Text und Fotos von Monika Fingerhut