Jossgrund vor hundert Jahren

Wanderung auf den Spuren des Militärs - fast 50 Teilnehmer - neu entdeckter Streckenverlauf der Schmalspurbahn

Der Einladung des Hobbyhistorikers Holger Heinemann zur geführten Wanderung von Oberndorf nach Lettgenbrunn waren fast 50 Interessierte gefolgt. Die rund vierstündige Tour war Teil einer der Veranstaltungsreihe der Stadt Bad Orb zum Ende des Ersten Weltkrieges im Jahr 1918.

Vor hundert Jahren war nicht nur die nahe gelegene Kurstadt, sondern auch die ländliche Region des Jossgrundes betroffen. Zehntausende Soldaten wurden damals in und um Lettgenbrunn und Villbach ausgebildet. 1911 plante man die Errichtung eines Truppenübungsplatzes. Viele Einwohner der beiden Orte wurden nach Unterfranken ausgesiedelt. Die zwölf Grundbesitzer, die sich weigerten, ihren Besitz an den Staat zu verkaufen, wurden enteignet.

Zur Versorgung der Soldaten und zum Abtransport von Holz und Basaltsteien wurde eine Bahnlinie vom Orber Bahnhof über die Haselstraße zur Wegscheide und von dort über Lettgenbrunn bis in den Minenwerfergrund zwischen Lettgenbrunn und Pfaffenhausen gebaut. Noch immer nicht völlig geklärt, wie die Trasse verlief. „Bis heute weiß man nicht, wie die Bahn nach Villbach kam“, berichtete Heinemann. Neueste Entdeckungen oberhalb der Sportanlage im Rabenberg in Oberndorf belegen, dass sich auch am Schwarzen Berg bei Oberndorf ein Gleisabschnitt befand. „Es gibt keine Karte, in die die Strecke eingezeichnet ist“, erklärte Heinemann. Unterwegs machte er die Teilnehmer auf besondere Wegeführungen und Merkmale wie aufgeschüttete Dämme aufmerksam, die über den Streckenverlauf der Kleinbahn Aufschluss geben. Er zeigte 100 Jahre alte Luftaufnahmen sowie Bilder, die mit Airborne Laserscanning aufgenommen wurden. Eine Methode, die in der Archäologie eingesetzt wird, um Bodendenkmale erkennbar zu machen.

Vor hundert Jahren habe es Pläne für eine „Jossatal-Bahn“ gegeben. Die Jossgrunder hätten dies befürwortet, weil sie sich ein besseres Leben erhofften. Am Bahnhof in der nahe gelegenen Kurstadt herrschte zu dieser Zeit reger Betrieb. Laut Augenzeugenbericht ging es im Ersten Weltkrieg dort zu wie am Kölner Hauptbahnhof. Im Jahr 1916 zählte man 362.000 Fahrgäste, das sind nahezu 1000 am Tag. Auf die Wegscheide wurden vorwiegend Munition und Verpflegung für mehrere tausend Soldaten befördert. Bergab hat man das Grubenholz transportiert. Auf der Wegscheide wurde das Material auf eine Schmalspurbahn umgeladen. In Lettgenbrunn angekommen, zeigte Heinemann historische Fotoaufnahmen. Darauf sind Baracken zu sehen, die terrassenförmig angelegt waren, was heute noch deutlich zu erkennen ist. Auch ein Kino hat es damals in Lettgenbrunn gegeben, das wohl eher für Propagandafilme genutzt wurde als zur Unterhaltung der Soldaten.

Text und Fotos: Birgit Sinsel

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