Lesung mit Kachichom Muhyaddin

Eine bewegende Geschichte über Flucht und Integration - gut besuchte Lesung in der Kulturfabrik

Der Einladung der Theatergruppe „Inkognito“ zur Lesung mit Kachichom Muhyaddin waren zahlreiche Interessierte gefolgt. Der Zuspruch war riesig und sprengte alle Erwartungen. Mit seinem im Mai 2018 erschienen Buch „Kardox, der Kurde“ erzählt der Autor aus seiner Kindheit in Irakisch Kurdistan und die Flucht mit seiner Familie.

Kachichom Muhyaddin wurde 1955 als Sohn eines Getreideverkäufers in Osmanleke, einem Dorf bei Kerkûk geboren. Bereits als Achtjähriger erfuhr er, was Flucht vor politischer und militärischer Gewalt bedeutet. In den 1970er Jahren kam er nach Deutschland. Heute lebt er in Berlin, ist mit einer gebürtigen Jossgrunderin verheiratet und hat eine Tochter. „Ich kann sagen: ich bin integriert“, betonte er nicht ohne Stolz.

Gelesen wurde aus drei Kapiteln, doch zuvor offenbarte der Autor seine Gründe, das Buch zu schreiben. „Ich konnte nicht mehr schlafen. In den letzten Jahren gelang es mir nicht mehr, was ich erlebt und gesehen hatte zu verdrängen“, erklärte der studierte Soziologe, der in der Flüchtlingsarbeit tätig ist. „Ich reagierte sensibler und wurde laut und aggressiv, wenn Flüchtlinge gegen Normen und Werte der Gesellschaft verstießen. Ab 2016 bin ich krank geworden, ohne Befund. Ich begann mich zu erinnern, was mir in seiner Heimat zugestoßen war. Erst dann fand ich meinen Schlaf wieder“. Ein Freund habe ihm geraten, das Erlebte, das er während einer Therapie niedergeschrieben hatte, zu veröffentlichen, berichtete der 63-Jährige.

So entstand sein Lebensbericht auf 360 Seiten. „Was ich als Kind erlebt und gesehen habe, konnte ich bis heute nicht verarbeiten“, verdeutlichte der Autor. Aus dem ersten Kapitel, das ihn noch immer sichtlich bewegt, las Gabi Walz, die die Veranstaltung initiiert hatte. Sie verbindet mit Uta, der Frau des Autors, eine lange und intensive Freundschaft. Das Kapitel erinnerte an die Flucht in die Berge im Jahr 1963. Der Autor schildert darin erschütternde Erlebnisse in einer Gastfamilie, deren  Haus als Zwischenstation diente. Muhyaddin musste als Kind mit ansehen, wie auf Kurden geschossen wurde. Er fühlte Todesangst, sah getötete Menschen und Tiere, konnte vor Hunger nicht einschlafen und hörte die Klagelieder der Menschen, die um ihre ermordeten Angehörigen trauerten. „Ich weiß bis heute nicht, was mit den Frauen und Kindern geschehen ist“, erzählte er den sichtlich betroffenen Zuhörern. Als junger Mann musste er vor der drohenden Verhaftung durch das Saddam-Regime seine Heimat verlassen.

„Aber es gab auch schöne Zeiten“, räumte der Autor ein und erinnerte an Anekdoten aus seiner Kindheit. Aus einem weiteren Kapitel, in dem er das „normale“ Leben der Kurden darstellt, las er persönlich vor. Ebenso wie aus dem nächsten Kapitel, das von der Gastfreundschaft erzählt, die er in Deutschland erlebte. Manche Zuhörer waren daran interessiert, das Buch zu kaufen ließen sich ein Exemplar signieren.

Text und Fotos von Birgit Sinsel

 

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