Vom Schlachthaus in der Mühlecke, Speiseeis am Ferdlsturz und echten Löwen

Beim Dorfspaziergang an ehemalige Läden erinnert - erste öffentliche Aktion des neuen Geschichtsvereins - Abschluss bei Vesper im Dreschplatzpark

Die erste Aktion des neu gegründeten Geschichtsvereins war eine Begehung der „Lohrer Straße“ im Ortsteil Oberndorf, um daran zu erinnern, welche Läden und Geschäfte es einst dort gegeben hatte. Vizechef und ehemaliger Bürgermeister von Jossgrund, Robert Ruppel begrüßte die Teilnehmer zum Start vor dem Rathaus.

Beim Streifzug durch die Straßengeschichte wurden viele Erinnerungen wach. Einheimische und ehemalige Oberndorfer sowie Neubürger lauschten gespannt den Erzählungen, die Winfried Imkeller mit kleinen Anekdoten ergänzte.

Die Lohrer Straße war im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zur Hauptverkehrsstraße nach Pfaffenhausen ausgebaut worden. Zuvor führte die Verbindung in das Nachbardorf über die Mittelstraße, die Deutelbacher und die Birkenstraße und den Pfaffenhäuser Weg. Im Mittelpunkt des Dorfspaziergangs standen auch ehemalige Berufe wie der Schweinehirt, an den noch der alte Straßenname „Säigasse“ (heute Mittelstraße) erinnert.

Zunächst nahm Ruppel die Historie der weit über Jossgrunds Grenzen hinaus bekannten Fleischerei Bien unter die Lupe. Sie hatte mit einem Schlachthaus und einem Verkaufsraum in der „Mühlecke“ begonnen, bevor die Familie am heutigen Standort das Grundstück erwarb. Des Öfteren habe man Gesellen angetroffen, die mit einer Schweinehälfte auf der Schulter hinüber zur Lohrer Straße gingen, erinnerte der Hobbyhistoriker. Nach dem tragischen Tod des Firmengründers im Jahr 1957 führte dessen Ehefrau den Familienbetrieb weiter, sein Bruder übernahm den Vieheinkauf. Der Sohn des Gründers, der heutige Seniorchef musste schon früh Verantwortung übernehmen.

Die Milchsammelstelle, die sich in der Nähe befand, gibt es schon lange nicht mehr, denn heute betreiben nur noch einzelne Bürger eine Landwirtschaft. Bezahlt wurden die Bauern nach der Menge und dem ermittelten Fettgehalt der Milch. Diese wurde in große Kannen gefüllt und für den Transport zur Molkerei auf das Milchauto verladen. Neben den Landwirten gab es auch Handwerker wie Leinenweber, Schuster, Maler und einen Sattler. Der besaß einen Eisenwarenladen, der vom landwirtschaftlichen Bedarf über Haushaltswaren und Spielsachen bis hin zu Mausefallen alles verkaufte, was das Herz begehrte. Ein Kolonial- und Kurzwarenladen befand sich bis Ende der 1970er Jahre im Haus des inzwischen verstorbenen Altbürgermeisters Franz Korn. In einem weiteren Laden wurde auch leckeres Speiseeis produziert.

An der Einmündung zum „Ferdlsturz“ gab es einen Kiosk, der lange Zeit ein beliebter Treffpunkt war. Die Amtsstube des jeweiligen Bürgermeisters befand sich in dessen Wohnhaus. Das Malteserhaus beherbergte die Raiffeisenbank mit einem Warendepot und Getreidetrocknungsanlage. Dort, wo sich heute die Leitungsbaufirma Muthig, der größte Arbeitgeber in der Gemeinde befindet, war bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Poststelle vertreten. Im Haus gab es einen weiteren Laden, der Eisen- und Haushaltsgeräte sowie Spielwaren führte. Anfang der 1950er Jahre begann die Familie mit einem Holzhandel und –transport.

Die heutige Pizzeria beherbergte eine Speisegaststätte und eine Metzgerei. Der Inhaber betrieb zudem eine Tankstelle mit einer Zapfsäule und besaß mitten im Ort ein Gehege mit leibhaftigen Löwen. Das Anwesen gegenüber war einst Bauernhof, später Pension, Seminarhaus und Asylantenwohnheim. Eine Zeitlang waren dort nacheinander Apotheke, Arztpraxis, Drogerie und Physiopraxis untergebracht. Heute befinden sich dort eine Zahnarztpraxis und die Räume eines mobilen Herrenausstatters.

Die interessierten Teilnehmer erfuhren nach einer kleinen Vesper mit Kratzekuche und Apfelwein im Pavillon des Dreschplatzparks Wissenswertes über die frühere Nutzung des in ehrenamtlicher Arbeit top gepflegten Areals.

Text und Fotos von Birgit Sinsel und Archiv Geschichtsverein

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