Wahnsinn und blutroter Sand

Grusel-Literaturabend mit dem WortSpiel Erzähltheater

Den Gästen der "Grusellesung" lief so manch kalter Schauer über den Rücken. Nicht umsonst hatten die Plakate den Aufruf „Zieht euch warm an!“ wiedergegeben.

Der Gewölbekeller der ehemaligen Wasserburg in Burgjoß empfing die Besucher gleich beim Eintreten oder besser, beim Hinabsteigen mit Spinnweben und den dazugehörigen Kriechtieren. Der kleine Raum wurde von unzähligen Kerzen erhellt und Nebel waberte durch die Luft. Um die gruselige Atmosphäre aufzulockern wurden alle freundlich von Catering-Chefin Nina Weismantel empfangen und mit einem Glas blutroten Sektes willkommen geheißen. Nachdem sich alle in warme Decken eingewickelt hatten, begrüßte Athena Schreiber die Gäste: „Das ist keine Halloween-Veranstaltung. Obwohl es natürlich etwas mit Halloween zu tun hat.“ Das Interesse an den Toten, der Glaube, dass sich eine Tür zu ihrer Welt öffnen könne, sei kulturübergreifend schon bei den alten Römern und auch den Kelten nachgewiesen worden. Wie man als moderner Mensch damit umgehe, sei natürlich eine andere Sache. Aber es sei bestimmt nicht verkehrt, um die andere, die dunkle Seite, auch in einem selbst, zu wissen.

Dann begann das Gruseln. Athena Schreiber trug als erstes eine Ballade vor, die geisterhafte Musik untermalte. Tote erheben sich aus ihren Gräbern. Einer von ihnen versucht sein gestohlenes Leichentuch vom Türmer zurück zu erhalten. Der Schlag der ersten Stunde rettet den leichtfertigen Dieb. Es handelt sich um Goethes „Totentanz“. Die Anwesenden waren, nachdem sie das erste Grausen abgeschüttelt hatten, erstaunt darüber, dass sich sogar der Dichterfürst mit diesem Thema beschäftigt hatte. Ein knappes Jahrhundert später schrieb Edgar Allan Poe „Das verräterische Herz“. Poe, dessen Todesursache unbekannt ist, verarbeitete in seinen dunklen psychologischen Texten die eigene Lebensgeschichte und Befindlichkeit.

Die Theaterfrau Athena Schreiber versetzte sich während der Lesung dieser Geschichte ganz in den Ich-Erzähler hinein. Sie erzählte ruhig und selbstironisch von dem Hass des Protagonisten auf das Auge des alten Mannes, rang mit dem Wahnsinn während dessen Ermordung und gab sich zum Ende hin ganz diesem hin, als der Ich-Erzähler sein Geheimnis in die Welt hinaus schrie. Die nächste Geschichte näherte sich dem Grausen subtiler. „Die Wirtin“ vom berühmten Kinderbuchautor Roald Dahl, ist eine freundliche und herzensgute Frau – so scheint es zumindest. Auch der junge Billie Weaver ist dieser Ansicht und mietet ein Zimmer bei ihr. Alles andere spielt sich nur im Kopf der Zuhörer ab. In der Pause hatten alle die Gelegenheit sich mit köstlichem Fingerfood vom Gruseln zu erholen.

Die Diätassistentin und Köchin Nina Weismantel hatte herbstliche Kleinigkeiten wie Nussbrot mit zweierlei Aufstrich, würzig-süße Kürbismuffins, herzhafte Kürbis-Schnecken und – besonders gut für Leib und Seele an diesem Abend – eine warme Rote-Bete-Suppe gezaubert. Nach der Pause folgte mit „Die Düne“ die letzte Geschichte. Der Richter rudert seit achtzig Jahren zu einer Düne, auf der die Namen Totgeweihter in den Sand geschrieben stehen. An diesem Abend lässt er nun seinen Anwalt eilig kommen, um sein Testament zu machen. Doch das Ende ist anders als erwartet. Diese letzte Geschichte ist von 2011 und stammt aus der Feder des begnadeten Geschichtenerzählers Stephen King.

Athena Schreiber hat einen Überblick von 300 Jahren der Beschäftigung mit dem Grusel-Thema aufgezeigt. Sie ist dabei in die einzelnen Charaktere geschlüpft, hat Pausen gesetzt, in denen sich das unbehagliche Gefühl in den Zuhörern ausbreiten konnte und hat Tempo gemacht, wo es galt Wahnsinn und Entsetzten zu zeigen. Am Ende bekam sie viel Beifall für ihren Vortrag und auch die kleinen Köstlichkeiten von Nina Weismantel wurden gelobt. So manch einer fragte nach den Rezepten, die sie sich größtenteils selbst ausgedacht hat. Alle Gäste fanden es sei sein gelungener, etwas anderer, Grusel-Abend.

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