Könnte es bald vorbei sein mit der Idylle?

1000 Spessartbewohner zeigen Flagge - bei mehreren Infoveranstaltungen Pläne dargelegt, Folgen erörtert und Fragen gestellt

Große Sorgen bereiten den Bewohnern der Spessartgemeinden derzeit die Pläne der Deutschen Bahn eine ICE-Trasse durch das waldreiche Mittelgebirge zu bauen.

Mit viel Elan, Ideenreichtum und Fördermitteln beschäftigen sie sich damit, ihre Orte attraktiver und lebenswerter zu machen. Teilweise ist sogar schon ein positiver Trend in der Bevölkerungsentwicklung zu beobachten.  Die Pläne der Bahn scheinen die vielen Aktivätien und Förderprojekte jedoch geradezu ad absurdum zu führen. Um das Schienennetz zu entlasten plant die Bahn einen viergleisigen Ausbau der Strecke Hanau - Gelnhausen. Für den weiteren Ausbau nach Fulda/Würzburg soll noch eine geeignete Trasse gefunden werden. Drei von sieben möglichen Varianten könnten durch den Jossgrund verlaufen. Die Pläne sind von der Bahn veröffentlicht und unter www.hanau-wuerzburg-fulda.de zu finden.

Bei insgesamt vier Informationsveranstaltungen sind insgesamt 1000 Bürgerinnen und Bürger erschienen. Matthias Bien und Klaus Weismantel aus Oberndorf hatten Daten und Fakten zusammengetragen und präsentierten diese im September erstmals im kleinen Kreis von etwa 50 Zuhörern. Dies machte schnell die Runde, so dass am 11. November ein weiterer Infonachmittag im Rathaus veranstaltet wurde. Dort hatten sich  knapp 400 Teilnehmer eingefunden. Aber nicht um dem Gemeindeoberhaupt zum Faschingsauftakt den Regierungsstab zu entreißen, sondern sich über den Stand der Planungen zu informieren. Variante 1 würde durch den Biebergrund bis nach Lettgenbrunn verlaufen, zwischen Pfaffenhausen und Oberndorf den Rabenberg durchqueren und nach Mottgers weiterführen. „Die Planungen werden seit einem dreiviertel Jahr massiv betrieben“, verdeutlichte Bien. Klaus Weismantel referierte über die Auswirkungen des Schienenbaus auf die Natur. Einige der betroffenen Gebiete wie zum Beispiel in Lettgenbrunn am Beilstein unterliegen Flora-Fauna-Habitat(FFH)-Richtlinien. Jedoch bestehe seitens der Bahn Kartierungsbedarf in Bezug auf das Vorkommen schützenswerter und bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Im Schwarzen Grund könne das seltene Borstengras beheimatet sein, was auch auf ein Vorkommen der im Spessart fast ausgestorbenen Arnika schließen lasse. Auch die Wacholderheide und seltene Fischarten stünden unter einem besonderen Schutz. Sollte Variante 1 realisiert werden, würden auf Jossgrunder Gebiet drei Tunnelstrecken entstehen, prognostizierte Matthias Bien. Zwei Portale würden in andere Gemeinden führen. Insgesamt würden mehr als neun Kilometer Doppeltunnel gebaut werden, aus denen 2,8 Millionen Kubikmeter Abbruchmaterial entsorgt werden müssten. Bien prognostizierte gigantische Bauaktivitäten für die kleine bewohnte Region. Die Bauphase könnte bis zu 15 Jahre in Anspruch nehmen und würde durch Sprengungen und Erschütterungen eine erhebliche Beeinträchtigung für die Bevölkerung bedeuten. Seine Präsentation ist auf dieser Internetseite hinterlegt. Was ein Schienenausbau für den Ortsteil Burgjoß bedeuten würde, erörterte Robert Amberg eine Woche später in einer Versammlung anhand von Kartenmaterial im Burgjosser DGH.

Als die Initiative Pro Spessart (IPS) Ende November eingeladen hatte, um die eigenen Standpunkte darzulegen und der Bahn Gelegenheit zu geben, die Pläne vorzustellen, hatten sich sogar 550 Menschen im Bürgersaal des Rathauses versammelt um ihre Befürchtungen zum Ausdruck zu bringen und Flagge zu zeigen. Viele mussten sich mit einem Stehplatz begnügen. Der Saal drohte aus allen Nähten zu platzen. Simulationsgeräusche von Tunnelsprengungen und anderen Bauarbeiten verschafften den Teilnehmern einen Eindruck dessen, was es für sie bedeuten würde, sollte sich eine der befürchteten Trassenvarianten in ihrer Nähe durchsetzen. Rainer Schreiber, Jossgrunds Bürgermeister  Vorsitzender der IPS zeigte sich überwältigt von der großen Resonanz der Zuhörer. Am Bühnenrand deutete Jossgrunds Wappentier als Protestspecht mit einer Aufschrift an, was die Jossgrunder und ihre Nachbarn vom Schienenbau durch den Spessart halten. Schreiber erinnerte daran, dass es schon vor 100 Jahren Pläne gab, eine Bahnstrecke von Bad Orb in den Jossgrund zu bauen. Diese seien damals aus Naturschutzgründen abgelehnt worden. Dr. Reinhard Domke von der DB Netz AG begründete den Ausbau mit dem Ziel eine Erhöhung der Pünktlichkeit und der Qualität im Personenverkehr zu erreichen. In einem transparenten rechnergestützten Planungsprozess sollten die Auswirkungen auf Mensch, Natur und Umwelt dargelegt werden. Grundlagen wie Untersuchungen zum Artenschutz, Schallgutachten, eine Wirtschaftlichkeitsberechnung und die Zugzahlenprognose 2030 stünden für den Abschluss des Variantenvergleichs noch aus.

Christian Behrendt vom Fahrgastverband „Pro Bahn“ äußerte seine Bedenken zur Neubaustrecke durch den Spessart, die auf jeden Fall einen Umweg für den Güterverkehr bedeute. Der Großteil der nächtlichen Güterzüge werde weiterhin über die alte Strecke fahren weil sie kürzer sei. „Ich halte nichts von der ‚Mottgersspange‘, weil sie keinen Sinn macht“, erklärte er und plädierte für die Investition in ein zukunftsfähiges Gesamtkonzept für den Südkorridior. Nach Informationen von Diplom-Geograf Wulf Hahn von Regio Consult, der in dem Konflikt als Mediator fungiert, würden während der Bauzeit 300.000 Lkw durch den Jossgrund fahren um Erdmassen abzutransportieren. Die erforderliche Logistik sei ein Punkt, den die Bahn in der Raumordnung noch klären müsse, forderte er. Von Gutachtern, so der Fachmann, sei bei den drei möglichen Varianten durch den Spessart der höchste Raumwiderstand festgestellt worden, da dort das Netz der Schutzgüter besonders dicht sei.

90 Minuten lang stellten sich die Referenten nach den Vorträgen den Fragen und kritischen Wortmeldungen der Zuhörer. Auf die Einwände, dass die Variante 1 die Wasserversorgung gefährde, antwortete Domke, dass bei allen Varianten mehr oder weniger schwere Konflikte um die Schutzgüter zu erwarten seien. „Es wird uns nicht gelingen, eine Trasse durch einen Korridor zu finden, die alle Konflikte ausschließt". Wasser habe zwar einen hohen Stellenwert, doch Heilquellen seien von Vornherein ausgeschlossen, erklärte der Projektleiter. Der Trassenbau werde den Bevölkerungsrückgang wieder beschleunigen, was für Läden, Kindergaren und den Brandschutz enorme negative Folgen hätte, befürchteten einige Teilnehmer, deren Kommentare mit viel Applaus quittiert wurden. Darüber hinaus wurde die Wirtschaftlichkeit des Projektes in Frage gestellt. Gutachter hätten bei der Neubaustrecke eine erhebliche Zeitersparnis von 18 Minuten errechnet, der den volkswirtschaftlichen Nutzen befeuere, entgegnete Domke.

„Es gibt keine Vorteile, deshalb müssen wir weiter Stärke zeigen“, stellte Rainer Schreiber klar, als er die Versammlung nach drei Stunden beendete. Barbara Madre, seine Stellvertreterin im Vorstand der IPS, fasste abschließend noch einmal zahlreiche Argumente gegen eine „ICE-Nordspessart-Trasse“ zusammen: „Der Spessart ist eines der größten noch intakten Waldgebiete Deutschlands. Eine Zerschneidung des Naturparks Spessart ist gerade im Zeichen des Klimawandels unverantwortlich. Der Wald dient als Öko-System, Erholungsraum, Wasserspeicher, Staub- und Lärmfilter. Ein Trassenbau würde über Jahrzehnte geschützte Naturreservate und europäisch geschützte FFH-Gebiete in Anspruch nehmen und das gesamte Landschaftsbild durch Brücken und Dämme beeinträchtigen, ohne die Verkehrssituation der Bahnreisenden und Pendler der Region zu verbessern. Zudem fehlt die Infrastruktur für die in der jahrelangen Bauphase notwendigen Fahrzeuge. Rettungseinheiten müssen im Falle einer Katastrophe lange Anfahrtswege in Kauf nehmen. Eine Nordspessartrasse mit Südanbindung schwächt den Wirtschaftraum Aschaffenburg. Ab Nantenbach bis Würzburg ist die Strecke mit hohem Mittelaufwand ICE-gerecht ausgebaut worden. Sie würde bei einer Realisierung der Nordspessart-Trasse eine erhebliche Fehlinvestition bedeuten. Die wegen zahlreicher langer Tunnel und Brücken auf über 2,5 Milliarden Euro geschätzte Nordspessart-Trasse ist ökologisch und ökonomisch nicht vertretbar und abzulehnen“. 

Text und Fotos von Birgit Sinsel

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